Doris Gutsmiedl-Schümann

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Doris Gutsmiedl-Schümann

Doris Gutsmiedl-Schümann

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Vor 75 Jahren wurde die Kon-Tiki-Expedition, die im weiteren Sinne zur experimentellen Archäologie gerechnet werden kann, weltberühmt – und mit ihr die 6 Männer, die auf dem Balsa-Floß den Pazifik überquerten. Doch das 7., weibliche Mitglied des Expeditionsteams blieb im Schatten: Gerd Vold Hurum (1917-2004). Sie machte mit ihrem Organisationstalent und ihren vielfältigen Kontakten die Reise der Kon-Tiki erst möglich.

Zum Weltfrauentag 2022 titelte der Blog des Kon-Tiki-Museums in Oslo, Norwegen: „For 75 years the Kon-Tiki Museum have kept her a secret“ . Die Rede war von Gerd Vold Hurum, die heute wohl als Projektmanagerin der Kon-Tiki-Expedition bezeichnet werden würde.

Ein bewegtes Leben

Gerd Vold Hurum wurde 1917 in Oslo, Norwegen, geboren, und wuchs im Osloer Bezirk Sæter auf. Die Sommer verbrachte sie auf einer Farm in der Nähe von Hamar in Hedmark, die der Familie ihres Vaters gehörte. Sie wird als aktives Kind beschrieben, das viel Zeit draußen verbrachte. Skifahren und Reiten wurden bald zu ihren Hobbies. Gerd wollte eigentlich Tierärztin werden, doch ihre Eltern waren dagegen: Diese Tätigkeit sei zu anstrengend für Frauen. Zur Berufsvorbereitung besuchte sie schließlich eine Handelsschule.

Als deutsche Truppen am 9. April 1940 Norwegen besetzten, war Gerd Vold Hurum 23 Jahre alt. Sie arbeitete zu dieser Zeit für das Versicherungsunternehmen Brage. Sie schloss sich bald dem norwegischen Widerstand an. Dort fertigte sie Matrizen für die verbotene Zeitung „Vi vil oss et land“, und hatte Zugang zu einem Funkgerät und zum Postweg nach Stockholm ins neutrale Schweden. So wurde sie zu einem Bindeglied zwischen der Widerstandsbewegung in Oslo und der norwegischen Exilregierung in London.

Nachdem am 18. Dezember 1941 einer ihrer Kontakte verhaftet worden war, musste Gerd Vold Hurum aus Norwegen fliehen. Sie schlug sich zu Fuß zuerst nach Schweden durch, und ging von dort nach Großbritannien. In London arbeitete sie für die Abteilung FO IV des Oberkommandos der norwegischen Exilregierung. In dieser Zeit knüpfte sie viele Kontakte, die sie später auch zur Vorbereitung der Kon-Tiki-Expedition nutzen konnte.

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs kehrte Gerd Vold Hurum nicht nach Norwegen zurück, sondern ging nach Washington , wo sie ab September 1945 an der norwegischen Botschaft für das Ver- und Entschlüsseln von Nachrichten verantwortlich war.

Museum von außen

Schriftzug an der Außenmauer des Kon-Tiki-Museums Oslo (Foto: Doris Gutsmiedl-Schümann)

Thor Heyerdahl und die geplante Reise mit einem Floß aus Balsaholz

Über die Kon-Tiki-Expedition gibt es zahlreiche populärwissenschaftliche Artikel, Bücher und Filme, daher sei sie hier nur kurz in ihren Grundzügen zusammengefasst. Der Archäologe und Ethnologe Thor Heyerdahl vertrat die These, dass die präkolumbische Bevölkerung Südamerikas in der Lage gewesen sei, mit Flößen aus Balsaholz den Pazifik zu überqueren und mit Hilfe des Humboldtstroms und der Passatwinde Polynesien zu erreichen. In Fachkreisen wurde diese These damals als technisch unmöglich abgelehnt – worauf Thor Heyerdahl beschloss, selbst ein Floß zu bauten und die grundsätzliche Möglichkeit einer solchen Seereise nachzuweisen.

Doch schon die Organisation einer solchen Expedition stellte eine große Herausforderung dar. In dieser Zeit kreuzten sich zufällig die Wege von Gerd Vold Hurum und Thor Heyerdahl in den USA.

Annette Hurum, Gerd Vold Hurums Tochter, schrieb in ihrem Vorwort zu einer Broschüre des Kon-Tiki-Museums über ihre Mutter: „Through mutual friends from the war, Thor Heyerdahl selected her to be the de facto „project manager“ for the Kon-Tiki-Expeditiom“. In der gleichen Broschüre wird beschrieben, dass Gerd Vold Hurum Thor Heyerdahl in einem Wagen der norwegischen Botschaft mitnahm, als er in seinen Bemühungen um Unterstützung für die Expedition zu scheitern drohte. Sie bot ihre Hilfe an, und konnte schon einen Tag später ein erstes Treffen mit einem für Ausrüstung verantwortlichen General des US-Verteidigungsministeriums arrangieren: Von dort bekam die Expedition zu Testzwecken schließlich einiges an Equipment zur Verfügung gestellt. Von diesem Zeitpunkt an unterstützte Gerd Vold Hurum die Expeditionsvorbereitungen zuerst in den USA und begleitete das Expeditionsteam später auch nach Peru.

Bücher über die Kon-Tiki-Expedition

Die Broschüre über Gerd Vold Hurum (Kon-Tiki-Museum Oslo 2022) und weitere Bücher über die Kon-Tiki-Expedition (Foto: Doris Gutsmiedl-Schümann)

Ein paar Stunden an Bord

Am 28. April 1947 wurde das Floß aus dem Hafen von Callao, Peru, geschleppt, und die Reise der Kon-Tiki begann. Während dieser ersten Stunden war Gerd Vold Hurum ebenfalls an Bord. Sie hätte wohl auch die gesamte Reise mitgemacht, wenn man sie dafür von der norwegischen Botschaft in Washington freigestellt hätte. So kehrte sie jedoch nach kurzer Zeit an Land zurück und fungierte dort während der folgenden Wochen als Kontaktperson der Kon-Tiki-Crew.

Für die Projektmanagerin an Land gab es viel zu tun. Für über 250kg Ausrüstung und Gepäck musste ein Transport von Peru in die USA organisiert werden – ohne entsprechende finanzielle Mittel. Und auch Gerd Vold Hurum selbst musste nach Washington zurückkehren. Wieder einmal konnte sie ihre Kontakte nutzen und überzeigte den peruanischen General Reveredo, die Ausrüstung und sie selbst in einem Flugzeug des peruanischen Militärs unentgeltlich mit in die USA zu nehmen.

Das Kon-Tiki-Museum veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite ein kurzes Video mit Gerd Vold Hurum. Das Video ist hier verlinkt.

Verbindungfrau der Kon-Tiki-Crew und ihre Idee für ein Museum

In den folgenden Wochen war Gerd Vold Hurum einerseits wieder in ihrem Vollzeitjob an der norwegischen Botschaft in Washington tätig, andererseits erhielt sie regelmäßig Funknachrichten von der Kon-Tiki. Sie sorgte dafür, dass diese Nachrichten abgetippt und sowohl an die Presse als auch an Partner und Unterstützer der Expedition weitergleitet wurden. Auch an die Familien der sechs Crewmitglieder gab Gerd die Meldungen aus dem Pazifik weiter. Von den Familien wiederum erhielt sie regelmäßig Nachrichten, die sie den Männern an Bord des Floßes übermittelte.

Nach 101 Tagen auf See lief die Kon-Tiki vor Raroia im Tuamotu-Archipel in Französisch-Polynesien auf ein Riff und wurde von dort zuerst in die Lagune und dann an Land gebracht. Thor Heyerdahl hatte eigentlich geplant, das Floß in Polynesien zurückzulassen: Mit dem Ende seiner Reise hatte es seine Schuldigkeit getan. Es war Geld Vold Hurums Idee, die Kon-Tiki auszustellen und durch den Verkauf von Eintrittskarten einen Teil der Expeditionskosten wieder hereinzuholen. Das Expeditionsmitglied Knut Haugland unterstütze sie in diesem Vorhaben. Dazu war auch wieder einmal Gerd Vold Hurums Organisationstalent gefragt: Sie sorgte dafür, dass die Kon-Tiki über mehrere Zwischenstationen nach Oslo gebracht wurde. Dort eröffnete am 15. Mai 1950 das Kon-Tiki-Museum.

Unsichtbare, aber essenzielle Arbeit im Hintergrund

Gerd Vold Hurum hat entscheidende Beiträge zum Zustandekommen der Kon-Tiki-Expedition geleistet. In der Öffentlichkeit wurde und wird diese Expedition jedoch vor allem mit Thor Heyerdahl und den fünf weiteren Männern an Bord –Herman Watzinger, Erik Hesselberg, Bengt Danielsson, Knut Haugland und Torstein Raaby, in Verbindung gebracht.

Im Kon-Tiki-Museum Oslo hat Gerd Vold Hurum nun nach 75 Jahren im Bereich der Kon-Tiki-Expedition eigene Ausstellungstafeln bekommen, die ihre Geschichte erzählen. Die älteren Texte zur Kon-Tiki-Expedition wurde jedoch (noch) nicht verändert oder angepasst: Darauf kommt sie nicht vor. Interessant ist nun, die Tafeln neu zu lesen mit dem Wissen, dass mit Gerd Vold Hurum eine gut vernetzte Frau in der Organisation der Expedition tätig war. Indirekt ist sie in der bisherigen Ausstellung nämlich doch vorhanden, wenn es heißt, dass Thor Heyerdahl Dank seiner persönlichen Kontakte auftretende Probleme lösen konnte: Heute wissen wir, dass es seine Bekanntschaft und Zusammenarbeit mit Gerd Vold Hurum und deren Verbindungen zu einflussreichen Personen waren, die die Expedition voranbrachten und zum Erfolg führten.

Gerd Vold Hurum ist ein gutes Beispiel für eine Frau, deren Arbeit im Laufe der Zeit vergessen wurde. Im Projekt AktArcha suchen wir nach solchen Frauen in den deutschsprachigen Archäologien.

Quellen:

Mit diesem Blick nach Norwegen verabschiedet sich der Blog von AktArcha in die Winterpause. Ab 12. Januar 2023 geht es hier weiter mit spannenden Einblicken und Geschichten aus unserem Projekt.


Dieser Blogeintrag ist am 15. Dezember 2022 zuerst unter https://aktarcha.hypotheses.org/1008 erschienen.

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Forschende - Lehrende - Archäologin | Prähistorikerin - Hochschuldidaktikerin